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Spieletest: Call of Juarez - Der Wilde Westen lebt neu auf

Atmosphärischer Action-Titel von Techland. Der Wilde Westen ist für die Film- und Spielebranche schon lange nicht mehr wirklich attraktiv - daran können auch einzelne Erfolge wie etwa Brokeback Mountain auf der großen Leinwand oder Red Dead Revolver auf der Konsole nicht viel ändern. Die polnischen Entwickler von Techland, zuletzt durch den Shooter Chrome in Erscheinung getreten, haben ihren neuen Titel "Call Of Juarez" trotzdem in der Welt der Sheriffs, Saloons und Cowboys angesiedelt; und dürften dank toller Story und viel Atmosphäre auch Spieler überzeugen, die mit einem derartigen Szenario normalerweise nicht viel anfangen können.
/ Thorsten Wiesner
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Anstelle von einem Helden wartet Call of Juarez gleich mit zweien auf - wobei der Begriff "Held" auf beide Protagonisten eigentlich nur begrenzt zutrifft. Auf der einen Seite steht der Priester Ray, der nicht so wirklich in das Klischeebild eines Kirchenmannes passt; eine Bibel hat er zwar immer dabei, die benutzt er allerdings eher zur Einschüchterung seiner Feinde. Ansonsten hantiert er meist gleich mit zwei Schusswaffen und ist für seine unerbittlichen und kompromisslosen Wutanfälle bekannt. Im herben Gegensatz dazu steht der unsichere Billy, der alles andere als ein typischer Haudegen ist und erst mit der Zeit den Umgang mit Waffen lernt. Als Verbindung zwischen den beiden fungiert der bestialische Mord an Rays Familie, den der Priester Billy in die Schuhe schiebt - fortan beginnt also ein interessantes Wechselspiel aus Jäger und Gejagtem. Und das Beste daran: Der Spieler übernimmt abwechselnd gleich beide Helden, so dass zwei Geschichtsstränge parallel verlaufen und viele sich überschneidende Missionen nacheinander aus verschiedenen Gesichtspunkten angegangen werden.

Natürlich sind Bill und Ray aber nicht die einzigen Charaktere in Call of Juarez - die Western-Stadt "Hope", in der das Ganze spielt, ist geradezu überfüllt mit oft sehr eigenwilligen Personen, die allesamt meist nichts Gutes im Schilde führen. Ein Großteil der Faszination des Spiels entsteht somit eben aus der sich langsam entfaltenden und viele Überraschungen bereithaltenden Geschichte und der dichten Atmosphäre; selbst die (leider sehr langen) Ladepausen werden noch sinnvoll genutzt, indem Bill und Ray vor jeder Mission in einem ausführlichen Monolog neue Informationen über ihren Hintergrund preisgeben.

Das eigentliche Gameplay hingegen bietet ziemliche Standardkost - die allerdings mit ein paar netten Ideen aufgewertet wird. So lässt sich Ray im Grunde wie in einem klassischen Shooter durch die Level führen, kann allerdings einerseits dank aktivierbarem Zeitlupenmodus ganz in Ruhe die Kontrahenten aufs Korn nehmen, vor allem aber Gebrauch von seinen beiden Schusshänden machen: Die rechte und linke Waffe agieren autonom, so dass in vielen Situationen gleich zwei Fadenkreuze auf dem Bildschirm erscheinen. Auch zu klassischen Mann-gegen-Mann-Duellen stellt sich der Gottesmann gerne; dann ist Reaktion gefragt, um als Erster den Abzug betätigen zu können.

Mit Bill hingegen ist zumindest in den ersten Spielstunden nicht so viel Action angesagt - oft ist er auch nur mit einer Peitsche bewaffnet, die sich dafür aber auch zum Klettern in Indiana-Jones-Manier nutzen lässt. Auf Grund seiner vorsichtigeren Art muss in diesen Missionen auch oft unauffällig geschlichen werden; schade nur, dass diese Schleichmomente ein wenig aufgesetzt wirken und zudem wenig Raum für spielerische Freiheit lassen - wenn jede Wache einer bestimmten Route folgt, ist die Lösung eben auch immer eine direkt vorgegebene.

Auch sonst schwankt man bei Call of Juarez oft zwischen Begeisterung und Kritik: Eigentlich ja eine tolle Idee, dass zwischendurch auf einem Pferd durch die Gegend geritten werden darf - nur fühlt sich die Reiterei stellenweise ganz schön schwammig an. Auch besondere Aufträge wie das heimliche Mitfahren auf einem Zug oder ein Postkutschenüberfall bieten spielerisch Licht und Schatten - aufregenden Aufträgen stehen entnervende Spaßbremsen wie das hakelige Stapeln von Kisten entgegen. Wirklich störend ist aber darüber hinaus die an einigen Stellen einfach überfrachtete Steuerung: Wer etwa gleichzeitig um eine Ecke schauen, den Zoom-Modus der Waffe und dann noch die Spezialfähigkeiten des Pfarrers nutzen will, wird die Entwickler schnell auf Grund der einfach zu vielen simultan zu drückenden Tasten verfluchen.

Optisch ist Call of Juarez dafür rundum gelungen - wer eine aktuelle Grafikkarte besitzt, freut sich über immens detaillierte Wälder und Wiesen oder beeindruckende Effekte bei Explosionen und Feuer, mit älterer Hardware (Mindestanforderung: GeForce6600 oder Radeon 9800) müssen die Grafikoptionen hingegen auf ein Minimum heruntergeschraubt werden, was dann natürlich für nicht mehr allzu ansehnliche Szenarien sorgt. Via Internet und LAN darf übrigens auch mit mehreren Mitspielern eine Bank überfallen oder eine wilde Schießerei mit Banditen absolviert werden.

Call of Juarez ist bereits im Handel erhältlich und kostet etwa 40,- Euro. Obwohl das Spiel nicht sonderlich brutal ist, hat es von der USK keine Jugendfreigabe bekommen und ist somit erst ab 18 Jahren zu erwerben.

Fazit:
Call of Juarez lässt den Wilden Westen neu aufleben - mit toller Geschichte, viel Atmosphäre, schicker Grafik und gelungenen Spezialfähigkeiten wie Zeitlupe und beidhändigem Schießen. Gleichzeitig nerven der zu lineare Ablauf, die überfrachtete Steuerung, lange Ladezeiten und einige weitere Unstimmigkeiten. Und trotzdem lohnt es sich insgesamt, in die Rolle von Bill und Ray zu schlüpfen - denn im Gegensatz zu Chrome ist es den Entwicklern bei allen kleineren Mängeln diesmal eben doch gelungen, ein Spiel in einem unverbrauchten Szenario zu entwickeln, das fesselt und von Mission zu Mission wieder motivieren und überraschen kann.


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