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Interview: "Verwaltung soll verwalten"

E-Government 2.0: Verwaltung in Konkurrenz zur Privatwirtschaft? Die Bundesregierung will bis 2010 die Verwaltung weitgehend digitalisiert haben. Die Netzeitung sprach mit Pablo Mentzinis vom IT-Branchenverband Bitkom über das neue Programm E-Government 2.0 und über Konkurrenz zur Privatwirtschaft.
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Netzeitung: Wie kann aus den föderalen Strukturen in Deutschland bis 2010 ein einheitliches und durchgängiges E-Government-Angebot erwachsen?

Mentzinis: Verwaltungen in Bund, Ländern und Gemeinden müssen sich auf gemeinsame Standards einigen. Wir haben hier nach wie vor viel zu viele unabgestimmte Parallelstrategien. Auch im Jahr 2006 hat jedes Bundesland seine eigene IT-Strategie und berücksichtigt Kernaussagen der Bundesplanung wie etwa die Standards und Architekturen für E-Government-Anwendungen (SAGA) überhaupt nicht - oder sehr lückenhaft.

Netzeitung: Was halten Sie von der "IT-Strategie der Bundesverwaltung", die unter anderem den technischen Rahmen für die IT-Ausstattung setzen soll?

Mentzinis: Die IT-Strategie des Bundes trifft notwendige Priorisierungen, indem sich die Arbeiten zunächst auf einige besonders wichtige Verfahren wie Personenstandswesen, Meldewesen und Kfz-Zulassungen, also Bereiche, die jeden Bürger betreffen, konzentrieren. Ebenso ist auch der Aufbau einer gemeinsamen Kommunikationsinfrastruktur zwischen Bund und Ländern ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Netzeitung: Reichen die geplanten Maßnahmen aus, um Deutschland im internationalen E-Government-Vergleich aus dem, wie es im Programm heißt, derzeitigen Mittelfeld und an die Spitze zu holen?

Mentzinis: Wenn die Aktivitäten von Bund und Ländern stärker koordiniert werden, sehe ich gute Chancen, dass Deutschland bei den Rankings aufrückt, denn die deutsche Verwaltung hat einen international guten Ruf. Das bisher mittelmäßige Abschneiden Deutschlands in den internationalen Studien war bisher immer auch mit den sehr unterschiedlichen Lösungen in Bund und Ländern begründet worden.

Netzeitung: Haben Sie den Eindruck, dass das Geschäftsmodell, wie es in wirtschaftlichen Studien gefordert wurde, hinter einer modernen Verwaltung erkannt wurde?

Mentzinis: Der Bund und auch die Länder wissen, wie wichtig die Leistungsfähigkeit als Standortfaktor im internationalen und europäischen Wettbewerb ist.

Netzeitung: Ist Unternehmen damit geholfen, wenn sie ihre Statistikmeldungen elektronisch und automatisiert an das Statistische Bundesamt und die Statistischen Landesämter übermitteln können? Oder bedarf es mehr, um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu sein?

Mentzinis: Die Statistikanwendungen zeigen uns, wie modern die deutsche Verwaltung sein kann. Aber es ist nur ein Bereich unter sehr vielen.

Netzeitung: Was ist unter den "Shared Services" zu verstehen und worin besteht ihr Vorteil?

Mentzinis: Im Shared-Service-Konzept werden Dienstleistungen zusammengefasst, die von verschiedenen Abteilungen oder Organisationseinheiten genutzt werden. Diese Leistungen werden nun ganzheitlich unter Nutzung moderner und integrierter Technologien erbracht. Mit Shared Services lässt sich das herkömmliche Ressortdenken - oder die so genannte Silo-Orientiertung der öffentlichen Hand überwinden. Typische Anwendungsfelder für Shared Services in der öffentlichen Verwaltung sind etwa Einkauf, Eingangsrechnung, Haushaltsplanung, Personalwesen oder Reisekostenmanagement.

Netzeitung: Das Programm ist in vier Handlungsfelder eingeteilt. Das Feld "Portfolio" sieht einen bedarfsorientierten Ausbau des E-Government-Angebots vor. Sehen Sie die angestrebten Dienstleistungen, die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft online nutzen sollen, als ausreichend an und glauben Sie, dass es möglich ist, dass der Schritt von der Information und der Möglichkeit, Formulare auszudrucken, zur Interaktion in den nächsten vier Jahren vollzogen wird?

Mentzinis: Die öffentlichen Verwaltungen werden in den kommenden vier Jahren deutliche Fortschritte machen müssen - nicht zuletzt auch deswegen, weil in nur wenigen Jahren auch die öffentliche Verwaltung händeringend nach guten Mitarbeitern suchen wird. Um nicht im so genannten "War for Talents", also Kampf um Talente, mit der Privatwirtschaft das Nachsehen zu haben, müssen auch die Arbeitsplätze der Verwaltung modern ausgestattet werden.

Netzeitung: Durch die elektronische Zusammenarbeit von Wirtschaft und Verwaltung sollen Bürokratiekosten reduziert werden. Wie sollten die geplanten Prozessketten optimal funktionieren?

Mentzinis: Die Prozessketten sollten so weit automatisiert werden, wie dies technisch möglich ist. Die Prozessketten der Verwaltungsabläufe sind unterschiedlich, daher kann man kaum pauschale Aussagen treffen. Dass hier eine ganze Menge möglich ist, macht aber die Privatwirtschaft vor.

Netzeitung: Denken Sie, dass der E-Pass, der es Bürgern ermöglichen soll, sich online zu authentisieren, Transaktionen im Internet erleichtern wird, oder dass eine Vielzahl neuer Probleme damit auf uns zukommen wird?

Mentzinis: Wir haben heute Probleme mit dem Diebstahl von Identitäten und mit Phishing. Der elektronische Personalausweis und die qualifizierte elektronische Signatur werden unsere Netzidentitäten wieder sicherer machen.

Netzeitung: Was halten Sie von den geplanten Bürger-Portalen? Es entsteht der Eindruck, als solle dort eine Art MySpace-Community mit behördlichen Kompetenzen entstehen.

Mentzinis: Die öffentliche Verwaltung sollte es auf jeden Fall unterlassen, Leistungen anzubieten, die heute bereits von Privaten erbracht werden. Verwaltung soll verwalten und nicht IT-Services für den Bürger anbieten. Wir haben hier zunehmende Probleme, weil öffentliche Einrichtungen sich nicht auf ihre eigentlichen Aufgaben beschränken, sondern Leistungen erbringen, die Private wirtschaftlicher erbringen können.

Der Bund ist letztes Jahr vom Bundesrechnungshof gerügt worden, weil die Bundesverwaltung eine eigene Stelle aufgebaut hat, die Webportale für Verwaltungsstellen entwickelt. Statt sich auf die Standards zu konzentrieren, macht die Verwaltung hier der Privatwirtschaft Konkurrenz - und zwar zu unwirtschaftlichen Preisen und damit auch auf Kosten der Steuerzahler.

Das ist nicht das einzige Beispiel: Wir müssen leider immer stärker erleben, dass die öffentliche Hand IT-Beratung, Rechenzentrumsleistungen, Programmentwicklung und andere IT-Dienstleistungen im Wettbewerb zur Privatwirtschaft anbietet. Dieser Trend ist teuer für den Steuerzahler.

[Das Interview führt Julia Niemann]


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