WOS4: Mehr Freiheit!
Unter der Diskussionsleitung von Felix Stalder, Dozent an der Zürcher Kunstakademie und Mitbegründer von Openflows.org, fanden sich Vertreter aus mehreren Ländern zusammen, um Projekte und theoretische Standpunkte zu präsentieren.
Den Anfang machte Alexei Blinov aus London, der die Idee von Hive Networks vorstellte. Sein Ausgangspunkt war eine Kritik an den etablierten Strukturen im Publikationsbereich, die er folgendermaßen charakterisierte: "Große, globalisierte Infrastrukturbesitzer zusammen mit großen, globalisierten, kommerziellen Verlegern." Auf der anderen Seite sieht er "individuelle, schlecht miteinander vernetzte, naive Anwender" . Zwischen beiden Seiten würde ein "Ungleichgewicht" bestehen, den Hive Networks überwinden sollten.
Als Zweite waren Carmen Weisskopf und Doma Smoljo von der Mediengruppe Bitnik aus Zürich an der Reihe. Bitnik setzt den Schwerpunkt der Aktivitäten auf "kulturelle und künstlerische Software" . Eine besondere Rolle spielen dabei "Mapping und Hacking" . Beim Mapping werden globale Zusammenhänge wie zum Beispiel die Verteilung von Computern in der Welt sichtbar gemacht. Auch wird die Funktionsweise von technischen Systemen visuell erschlossen. Mittels Hacking werden Systeme hingegen ganz konkret "fürs Mitmachen geöffnet" .
Beispielhaft wurde das seit 2004 stattfindende "TV-Hacking-Experiment" der Gruppe vorgestellt. Ziel dieses Experiments ist es, ein "Mitmach-Fernsehen für alle" bereitzustellen. Dazu wurden einfache, billige Sendegeräte mit begrenzter Reichweite entwickelt, die ihren Inhalt über ein P2P-Netwerk beziehen. Auf der Webseite des Projekts können die Nutzer des Systems "gefundene Inhalte" zur Sendung bereitstellen. Bitnik selbst versteht sich dabei als eine Art Redaktion dieses "Hybrid-Systems aus TV und Internet" . Damit verbundener Urheberrechtsprobleme ist sich Bitnik wohl bewusst. Das Wort vom Piratensender fiel mehr als einmal in der Präsentation.
Rasmus Fleischer, ein Vertreter des schwedischen Piratenbüros, stellte in der dritten Präsentation dessen Aktivitäten vor. Vor drei Jahren von einem kleinen Personenkreis gegründet, "um Projekte rund um Themen wie Piraterie, Kopieren, Urheberrecht zu veranstalten" , machte das Piratenbüro im Frühjahr 2006 als Betreiber des weltgrößten Bittorrent-Trackers, Pirate Bay, von sich reden. Auf Drängen der US-Regierung war der Server zeitweilig geschlossen worden, was in Schweden zu heftigen Reaktionen bei Politikern aus allen Parteien geführt hat. Den Nachhall der Regierungsaktion beurteilte Rasmus Fleischer denn auch durchaus positiv, denn das Piratenbüro hat sich vorrangig "der Förderung der Diskussion über falsche Urheberrechtskonzepte verschrieben" .
Dabei betonte Fleischer mehrfach, dass sich das Piratenbüro nicht als Sprachrohr der Konsumenten-Interessen oder der Filesharer-Interessen verstehen würde. Stattdessen möchte man in der öffentlichen Diskussion darauf hinwirken, dass "die Sprache und die Konzepte im Urheberrecht der Realität angepasst werden" . Es sei falsch, an einem überholten Begriff von Autorenschaft festzuhalten. Der von der Medienindustrie geführte "Kampf gegen die Piraterie" sei als Vertuschungsmanöver einzustufen.
In Wirklichkeit gehe es nicht um einen Kampf "gegen die nicht genehmigte Verbreitung von Inhalten" , sondern um einen Kampf "gegen die nicht genehmigte Verbreitung von Metadaten" . Nicht das Filesharing sei daher Ausdruck einer "Krise des Urheberrechts" , sondern die "unstimmige Definition des Begriffs Kopieren" , die mit der Wirklichkeit nicht mehr mithalten könne.
Felix Stalder stellte im Anschluss an die Präsentationen eine Gemeinsamkeit heraus: Alle Vortragenden seien sich einig gewesen, dass es zunehmend unmöglich werde, zwischen Produzenten und Konsumenten von Kultur zu unterscheiden, wo die Anwender je nach Belieben in beide Rollen schlüpfen. Das sei eine grundsätzliche Veränderung im kulturellen Verhalten.
Die Reaktionen aus dem Publikum, das sich mit Fragen zurückhielt, waren verhalten. Ein Kommentator wies jedoch auf eine wesentliche Schwachstelle in den Argumentationen hin: Wo man den Begriff des Autors voreilig aufgebe, ihn nicht mehr für seine kreativen Leistungen entlohne, würden eben andere das Geschäft mit den Inhalten machen. Das aber liefe auf eine Ausbeutung der Autoren hinaus, wie man sie übrigens schon bei vielen Internet-Communitys beobachten könne. MySpace sei da nur ein Beispiel. [von Robert A.Gehring]



