22C3: E-Voting ist keine Killerapplikation

Ein Resümee der ersten Internetwahl in Estland

Während in Deutschland noch über die elektronische Gesundheitskarte debattiert wird, ist die Krankenversichertenkarte nur ein Aspekt des elektronischen Personalausweises, der in Estland bereits seit 2002 Realität ist. Die Esten können ihn sogar zum Wählen per Internet benutzen.

Artikel veröffentlicht am ,

Für die technologiebegeisterten Esten ist das Internet ein völlig normales Kommunikationsmittel: In dem Land im Baltikum beträgt die tägliche Internetnutzung stolze 54 Prozent. Auf dem 22C3 in Berlin gab Tarvi Marten, Projektmanager für E-Voting im nationalen Wahlkomitee von Estland, einen Überblick über die Herausforderungen, die eine Internetwahl stellt.

Eigentlich haben es die Esten besonders einfach, denn die wesentlichen Grundbedingungen waren bereits erfüllt. Ein optionaler Personalausweis, der gleichzeitig als Bezahlmittel, Führerschein, Krankenversichertenkarte, Bibliotheksausweis oder Fahrausweis dienen kann, bietet eigentlich auch alles, was ihre Inhaber zur Wahl brauchen: Sie können per Public-Key-Verfahren digitale Unterschriften leisten und für sie verschlüsselte Dokumente lesen. Als Sicherung dient dafür eine PIN, vergleichbar mit einer Bankkarte.

Bislang verfügen ca. 80 Prozent der 1,35 Millionen Einwohner des baltischen Staates über eine solche "eID Card", deren Planung bereits 1997 begann.

Ein entsprechendes Gesetz, das die Wahlen per Internet möglich machte, wurde im Sommer mit nur knapper Mehrheit im estnischen Parlament verabschiedet. Außerdem weigerte sich Staatspräsident Arnold Rüütel zweimal, den Entwurf zu unterzeichnen, denn das System erlaubt die Änderung der Wahlentscheidung bis zur Schließung der Wahllokale. Der oberste Gerichtshof bestätigte diese Praxis jedoch als verfassungsgemäß.

Im Oktober 2005 gab es dann bei den Parlamentswahlen erstmals die Möglichkeit, die Stimme sechs bis vier Tage vor dem Wahltag per Internet abzugeben. Obwohl ca. 80 Prozent der Bevölkerung bereits über eine eID Card verfügen, wählten nur 2 Prozent online; für das erste Mal jedoch ein gutes Ergebnis, befand Projektleiter Martens.

Dazu benötigt der Onlinewähler einen Smartcard-Leser, die Wahlsoftware ist als Java- oder Active-X Applet unter Windows, Linux und MacOS X lauffähig.

Ähnlich wie bei der Briefwahl funktioniert auch die Internetwahl mit zwei "Umschlägen": Die Software verpackt die Stimme zunächst in einem anonymen Datencontainer. In einem zweiten Schritt wird diese dann in einem mit der digitalen Unterschrift des Wählers beglaubigten Datenpaket verpackt. In einem laut Martens "streng überwachten" Rechenzentrum prüfen die Rechner dann die Signatur und entpacken den anonymen Stimmzettel, der dann in einem separaten Prozess ausgewertet wird.

Das von der estnischen Polizei betriebene Rechenzentrum hat es in sich: Kameras und zwei unabhängige Polizeieinheiten sorgen für die physikalische Einbruchsicherheit, während man auch online hochgerüstet hat: "Wir haben eine ganze Menge Sicherheitsexperten auf DoS- und Trojaner-Attacken angesetzt, jede kritische Aktion wird protokolliert, die Hardware wurde im Vorfeld versiegelt", führte Marten aus. Auch Wahlbeobachter und Auditoren hätten im Vorfeld einen Crashkurs erhalten: "Für die war das alles völliges Neuland."

Auf Nachfrage aus dem Publikum musste Martens jedoch einräumen, dass das System gegen Trojaner und Viren auf den Rechnern der Wähler nicht gefeit ist, denn sichere Kartenleser der Klasse 3 sind für die Wahl nicht nötig. "Wir stellen eine Anleitung zur Verfügung, anhand der die Wähler prüfen können, ob die Software korrekt arbeitet. Eine Garantie ist das aber natürlich nicht", räumte er ein.

Außerdem mussten alle Entwickler eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. "Man muss Virenschreibern die Nachbildung der Software ja nicht noch erleichtern", so Martens.

Trotz allem zeigte er sich zuversichtlich über die Zukunft der verbindlichen Wahl per Internet: "E-Voting wird so normal sein wie Online-Banking, nur sicherer. Es ist keine Killerapplikation, nur ein weiterer Weg zu wählen." [von Daniel Molkentin]

Bitte aktivieren Sie Javascript.
Oder nutzen Sie das Golem-pur-Angebot
und lesen Golem.de
  • ohne Werbung
  • mit ausgeschaltetem Javascript
  • mit RSS-Volltext-Feed


i-Irgendwas 01. Jan 2006

Mal abgesehen von diesen überall anzutreffenden, ABSOLUT NERVIGEN i-Irgendwas-Begriffen...

Gott mit dir... 01. Jan 2006

Eigentlich sollte man auf diesen hochqualitativen Beitrag besser gar nicht antworten...

Michael - alt 30. Dez 2005

Hallo "dreiTiere" Johannes hatte in seinem geistigen Auge den Barcode, dessen längere...

Yorick 30. Dez 2005

Das Internet als rechtsfreien anarchischen Raum zu erhalten... ist manchen...



Aktuell auf der Startseite von Golem.de
Google Street View
Deutschland bekommt keine Möglichkeit zur Zeitreise

Mit der überfälligen Aktualisierung verliert Street View auch das alte Bildmaterial - und das hat nicht nur mit Datenschutz zu tun.
Von Daniel Ziegener

Google Street View: Deutschland bekommt keine Möglichkeit zur Zeitreise
Artikel
  1. Schifffahrt: Hurtigruten plant Elektroschiff mit Segeln und Solarmodulen
    Schifffahrt
    Hurtigruten plant Elektroschiff mit Segeln und Solarmodulen

    Die norwegische Postschiff-Reederei will 2030 das erste Schiff in Betrieb nehmen, das elektrisch und vom Wind angetrieben wird.

  2. Saporischschja: AKW ist nach Staudammzerstörung mittelfristig in Gefahr
    Saporischschja
    AKW ist nach Staudammzerstörung mittelfristig in Gefahr

    Ein Experte für Reaktorsicherheit befürchtet, dass dem Atomkraftwerk Saporischschja das Kühlwasser ausgeht.

  3. Volker Wissing: Deutschlandticket soll in Frankreich gelten - und umgekehrt
    Volker Wissing
    Deutschlandticket soll in Frankreich gelten - und umgekehrt

    Frankreich plant etwas Ähnliches wie das 49-Euro-Ticket. Wissing will mit den Franzosen gemeinsame Sache machen.

Du willst dich mit Golem.de beruflich verändern oder weiterbilden?
Zum Stellenmarkt
Zur Akademie
Zum Coaching
  • Schnäppchen, Rabatte und Top-Angebote
    Die besten Deals des Tages
    • Daily Deals • XXL-Sale bei Alternate • MindStar: MSI G281UVDE 269€, ASRock RX 6700 XT Phantom D OC 379€, XFX Speedster MERC 319 RX 6800 XT Core 559€ • Corsair Vengeance RGB PRO SL DDR4-3600 32 GB 79,90€ • Corsair K70 RGB PRO 125,75€ • SHARP 65FN6E Android Frameless TV 559,20€ [Werbung]
    •  /