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Interview: Benoit Sokal über Adventures und Syberia II

Französischer Zeichner und Designer im Gespräch mit Golem.de. Syberia war bei seiner Veröffentlichung Mitte 2002 für unzählige PC-Spieler eine Offenbarung - schließlich hatten es die Entwickler von Microids geschafft, endlich einmal wieder ein klassisches Point&Click-Adventure zu veröffentlichen, das inhaltlich und spielerisch mit den ganz großen Klassikern des Genres mithalten konnte. Am 27. Mai 2004 erscheint nun der zweite Teil der Reihe - und Golem.de hatte die Möglichkeit, mit dem Lead Designer und dem als Comic-Zeichner bereits zu Weltruhm gelangten Benoit Sokal ein Interview zu führen.
/ Thorsten Wiesner
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Golem.de : Herr Sokal, sie haben jahrzehntelang erfolgreich als Comic-Zeichner gearbeitet, bevor Sie sich entschlossen, zukünftig an Computerspielen mitzuwirken. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Sokal : Ja, ich habe ganze 25 Jahre Comics gezeichnet - und um ehrlich zu sein, wurde das irgendwann ganz schön öde. Das war so Mitte der Neunziger - also genau die Zeit, zu der man glaubte, dass die interaktive CD-ROM das Medium der Zukunft sei und sogar das Buch ersetzen würde. Ich habe mir dann Programme wie 7Th Guest und Myst angesehen - und mich sofort in sie verliebt. Aber natürlich verleugne ich meine Vergangenheit nicht - Comics sind mir immer noch sehr wichtig.

Golem.de : Welche Vorteile beim Einstieg in die Spiele-Branche hatte es Ihrer Meinung nach, dass Sie zuvor schon als Comic-Zeichner gearbeitet haben?

Sokal : Beim Spiel ist wie beim Comic vor allem die Geschichte wichtig. Es geht darum, eine Welt zu erschaffen, in die der Spieler eintauchen kann - und diese Welt möchte ich kreieren. Bei Amerzone war es das erste Mal, dass ich das versucht habe, danach kam es dann zur Zusammenarbeit mit Microids und so zu Syberia.

Golem.de : In Syberia geht es um eine amerikanische Anwältin, die nach Europa kommt und den alten Erfinder Hans Voralberg sucht. Um ihn zu finden, muss sie einmal quer durch Europa fahren und sieht die verschiedensten Facetten unseres Kontinents. Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert?

Sokal : Syberia ist eine Reise durch Europa - sie beginnt in Frankreich und endet in Russland. Der Ausgangsgedanke zum Spiel war auch genau diese Reise - es ging darum, einmal quer durch Europa zu ziehen, wie ich es sehe. Ganz wichtig war dabei auch, dass die Hauptpersonen im Zug unterwegs sind. Für mich konnte diese Reise einfach nur per Zug gemacht werden.

Golem.de : Gab es eine unterschiedliche Herangehensweise an den zweiten Teil im Vergleich zum ersten Spiel?

Sokal : Syberia II sollte insgesamt einfach offener sein als der erste Teil. Die Geschichte sollte sich weniger in Räumen, dafür aber viel mehr in der Natur abspielen. Ich wollte weg von Städten und Zivilisationen, dafür hin zu weiten Berglandschaften, in den Schnee und dergleichen mehr.

Golem.de : Inwiefern unterscheiden sich Syberia 1 und 2 technisch voneinander?

Sokal : Syberia 2 ist sicherlich keine technische Revolution. Uns ging es nicht darum, etwas vollkommen Neues zu schaffen. Stattdessen sollte alles Bestehende ein wenig verbessert werden - wir haben mehr Licht, Schatten, Wetter-Effekte wie Schnee und so weiter integriert. Wichtig war aber immer, dass die Technik nicht zum Marketing-Element wird - am wichtigsten war immer die Story.

Golem.de : Eine große Rolle spielen in Syberia die Mammuts. Woher kommt Ihre Faszination für diese ausgestorbenen Tiere?

Sokal : Ganz einfach: Die Mammuts waren das Einzige, was übrig bleib - um die Dinosaurier hatte sich ja schon Steven Spielberg gekümmert....Aber mal ernsthaft: Spiele sind einfach eine tolle Möglichkeit, etwas bereits Ausgestorbenes wieder zum Leben zu erwecken oder auch Irreales lebendig werden zu lassen. An Gestalten wie King Kong glaubte man früher nicht - einfach, weil er aus Pappe gemacht war und nicht überzeugend wirkte. Mit der uns heute zur Verfügung stehenden Technik kann man aber etwas Derartiges erschaffen und es glaubwürdig wirken lassen.

Golem.de : Trotzdem scheint es ihnen wichtig zu sein, dass die Geschichten nie zu sehr in den Bereich der Fantasy abdriften.

Sokal : Oh, ich hasse diese ganzen Fantasy-Geschichten mit all ihren Superhelden, damit kann ich wirklich wenig anfangen. Ich ziehe es vor, von einer realen Situation auszugehen und diese dann mit Fantasie-Elementen weiter zu entwickeln.

Golem.de : Welchen Stellenwert spielen für Sie die Rätsel in Adventures?

Sokal : Am wichtigsten in einem Adventure ist die Story - es muss ein Sinn und der Inhalt vermittelt werden. Für die Rätsel ist dabei wichtig, dass sie den Spieler nicht blockieren - er soll von ihnen nicht aufgehalten werden, denn der Spielfluss darf nicht gestoppt werden.

Golem.de : Es gehört aber durchaus dazu, dass man bestimmte Passagen häufig durchqueren muss, um bestimmte Gegenstände von A nach B zu bringen...

Sokal : Ja, sicher. Syberia wird sicherlich keinem gefallen, der es eilig hat und durch das Spiel durchhetzen möchte.

Golem.de : Syberia wurde ja von Microids in Montreal entwickelt, Sie selbst leben allerdings in Frankreich. Wie hat das funktioniert?

Sokal : In den letzten Monaten bin ich immer für eine Woche pro Monat in Montreal gewesen, den Rest der Zeit haben wir per E-Mail kommuniziert. Erst habe ich das Drehbuch geschrieben, dann wurde in Kanada am Design gearbeitet. Ich schicke den Entwicklern Skizzen von Gebäuden und Charakteren, die sie als Grundlage für ihre Grafiken nehmen. Dann schicken sie mir ihre Grafiken, die ich dann wiederum mit Programmen wie Photo-Shop bearbeite, um die richtige Atmosphäre herzustellen.

Golem.de : Hat diese Zusammenarbeit zwischen Europa und Kanada immer reibungslos funktioniert?

Sokal : Nein, vor allem zu Beginn nicht. Am Anfang gab es wirklich einen kulturellen Graben, den wir erst mal überwinden mussten. Nach zwei bis drei Monaten hatten wir dann aber eine gemeinsame Ebene gefunden, um uns zu verständigen.

Golem.de : Haben Computerspiele Ihrer Meinung nach einen ähnlichen kulturellen Stellenwert wie Bücher und Filme?

Sokal : Ja, definitiv. Natürlich darf man da auch nicht vom Spiel im Allgemeinen sprechen - für einen Fußball-Titel gilt das sicherlich nicht unbedingt. Aber früher waren Spiele halt hauptsächlich nur Unterhaltung, jetzt sind sie ein wirkliches Ausdrucksmittel. Zumindest ich persönlich interessiere mich für Spiele nicht anders als für Bücher oder Filme.

Golem.de : Es wird ja im Grunde seit Jahren immer wieder darüber diskutiert, ob das Adventure-Genre nun tot ist oder nicht - was ist denn Ihre Meinung dazu?

Sokal : Nein, das Genre ist auf keinen Fall tot. Es gibt sehr viele neue Ideen und es sind viele neue Spiele in diesem Genre herausgekommen. Es ist eher so, dass das Adventure ein bisschen in der Warteschleife ist und man auf neue Techniken wartet, mit denen sich das Ganze weiterentwickeln lässt. Es war auch ein bisschen die Strategie der Verlage, einfach zu sagen: Die Adventures sind tot. Und dann musste man sich nicht mehr darum kümmern.

Golem.de : Syberia ist ja über alle Altersklassen hinweg und nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen ein großer Erfolg gewesen. Lag das Ihrer Meinung nach vielleicht daran, dass hier auch eine Frau die Hauptrolle spielt?

Sokal : Nein, das glaube ich nicht. Es ist glaube ich mehr das allgemeine Umfeld im Spiel, das Männer und Frauen gleichermaßen anspricht. Natürlich haben Sie Recht - normalerweise interessieren sich viel mehr Männer für solche Spiele, was übrigens für die Comics - zumindest in Frankreich - ganz genauso gilt. Auf der anderen Seite interessieren sich für die Literatur aber viel mehr Frauen - keine Ahnung warum. Wenn man also bei einem Spiel diese Atmosphäre und Tiefe erreicht, wie man sie aus den Büchern kennt, interessiert man auch automatisch mehr Frauen für die Spiele.

Golem.de : Einer der populärsten Charaktere in Syberia war zweifellos der Roboter Oscar. Wie erklären Sie sich die Popularität von Robotern, die im Laufe der Zeit immer menschlicher werden - wie etwa der aus Star Trek bekannte Data, der bei den SCI-FI-Fans auch zu den beliebtesten Darstellern der Reihe gehört.

Sokal : Es ist schwer zu erklären, warum Leute etwas mögen. Ich mag Oscar, weil man ihn im Grunde mit so etwas wie alten Wissenschaften vergleichen kann - eigentlich ist er heute zu nichts mehr nutze, gar nicht mehr aktuell. Diese alte Technik lebt aber weiter - es ging mir darum, diese Technik bis zum Schluss auszureizen, auch wenn sie gar nicht mehr benötigt wird. Das Ganze soll auch ein bisschen zum Träumen anregen, wie auch zum Beispiel eine alte Dampflok zum Träumen anregt - auch, wenn die damals wahrscheinlich gar nicht so schön waren, wie wir sie uns heute vorstellen.

Golem.de : Sie haben ja schon gesagt, dass es kein Syberia 3 geben wird. Sind trotzdem weitere Spiele mit der Hauptperson Kate Walker denkbar?

Sokal : Es wird kein Syberia 3 geben, richtig. Ich habe das alles eingestellt - es wird also auch keine weitere Geschichte mit Kate Walker geben, da ich mittlerweile meine eigene Produktionsfirma White Birds Productions gegründet habe. Dort wird es dann andere Spiele geben, mit ganz anderen Figuren. Ich habe derzeit zwei Projekte für neue Spiele: Eines wird sich in Zentralafrika abspielen, wahrscheinlich mit einer ähnlichen Technik wie Syberia, nur etwas weiterentwickelt. Das zweite Spiel ist ebenfalls ein Adventure, aber das wird sich eher im Wasser bzw. Meer-Bereich abspielen. Ziel meiner eigenen Firma ist, mehr schöpferisch tätig zu sein und sich ein bisschen von den Vorgaben der Industrie loslösen zu können.

Golem.de : Wir werden also Kate Walker nie wieder sehen?

Sokal : Nein, niemals. Jedenfalls nicht von mir; Microids hat ja die Rechte, eventuell werden die was machen.


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