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Interview: "Ich würde heutzutage niemals Windows kaufen"

John Perry Barlow im Gespräch mit Golem.de. Im Bundestag wird derzeit eine Gesetzesnovelle verhandelt, mit der das Urheberrecht an die digitale Informationsgesellschaft angepasst und somit nach Vorbild des amerikanischen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen unter Strafe gestellt werden soll. Damit würde allerdings auch das Recht auf die Privatkopie faktisch abgeschafft werden. Im Interview mit Golem.de warnt John Perry Barlow, Frontmann der Band Grateful Dead und Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation (EFF), vor den Folgen einer derartigen Gesetzesänderung.
/ Thorsten Wiesner
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Neben seiner Tätigkeit für die EFF(öffnet im neuen Fenster) ist Barlow auch Fellow am Berkman Center for Internet and Society der Harvard Law School. Er gilt als Netzaktivist der ersten Stunde und ist der Verfasser der legendären "Unabhängigkeitserklärung für den Cyberspace". Im Rahmen der unter anderem von Privatkopie.net organisierten Alternativveranstaltung zum Thema Privatkopie wurde Barlow nach Deutschland eingeladen und stand uns für ein Interview Rede und Antwort.

Golem.de: Wie fühlst du dich, wenn du siehst, dass in Deutschland eventuell bald ein dem DMCA sehr ähnliches Gesetz eingeführt wird?

Barlow: Es war schon in den USA ein tragischer Fehler; in Deutschland wäre es genauso tragisch. Ich hoffe aber, dass die Mitglieder der Europäischen Union rechtzeitig merken, dass sie nicht verpflichtet sind, den USA in blindem Gehorsam zu folgen. Nur weil die Medienkonzerne in den USA die Regierung gezwungen haben, ein derartiges Gesetz zu erlassen, heißt das ja nicht, dass sich jetzt andere Länder das Gleiche gefallen lassen müssen. Ich hoffe, dass in der EU das Gesetz abgelehnt wird. Das alles wurde mal wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit geplant, aber zumindest jetzt gibt es die Möglichkeit für die Öffentlichkeit einzuschreiten und etwas dagegen zu tun.

Golem.de: Welche direkten Folgen sind denn in den USA seit Inkrafttreten des DMCA bereits zu spüren?

Barlow: Die Konsequenzen wird man in ihrer vollen Form wohl erst in ein paar Jahren absehen können. Aber er hat schon jetzt Auswirkungen auf technologische Entwicklungen - aber auch auf die Meinungsfreiheit. Bestimmte Sachen darfst du auf einmal nicht mehr veröffentlichen - vor allem viele Schriften, die sich mit Kryptographie befassen. Der "Fair Use" wird extrem eingeschränkt, aber wie gesagt - wir haben die vollen Auswirkungen des DMCA noch nicht gesehen, vor allem deshalb, weil die meisten Firmen derzeit noch keinen Kopierschutz benutzen, sondern den erst in Zukunft implementieren werden.

Golem.de: Zumindest die Musikindustrie nutzt bereits in großem Umfang Schutzmechanismen.

Barlow: In den USA nicht - nur in Europa.

Golem.de: Woran liegt das?

Barlow: Ich denke, dass die Konzerne wissen, dass es in den USA sehr viel schwieriger ist, derartige Schutzmechanismen durchzusetzen. In den Staaten ist es gang und gäbe, dass jeder Jugendliche Massen von Musik auf seiner Festplatte hat und portable MP3-Player benutzt. Der iPod ist zum Beispiel extrem erfolgreich. In Europa ist das wohl nicht so, dementsprechend trifft man hier nicht auf so viel Widerstand wie es in den Staaten der Fall sein wird.

Golem.de: Letztendlich müsste das für die Industrie doch ein Problem werden - einerseits will man Festplatten und MP3-Player verkaufen, andererseits das Kopieren von Musik verbieten.

Barlow: Das ist schon jetzt ein großes Problem für sie, vor allem für die Musikindustrie, deren Ruf in den USA extrem schlecht ist. Niemand will mehr Geld als nötig für eine Platte ausgeben, weil vor allem die Jugendlichen einen wirklichen Hass auf die Plattenfirmen haben. Die Leute wissen, dass sie nicht die Musiker unterstützen, sondern die Konzerne, und darauf haben sie keine Lust mehr.

Golem.de: Denkst du eigentlich, dass die Mehrheit der Leute weiß, was der DMCA bedeutet?

Barlow: Nein, wahrscheinlich wissen nur weniger als zehn Prozent der Amerikaner überhaupt, was der DMCA ist. Das ist natürlich auch unser Fehler - die EFF war anscheinend nicht so erfolgreich dabei, die Öffentlichkeit auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Aber es ist extrem schwierig, Leute dazu zu bringen, wegen so etwas wie einem Kopierschutz-Gesetz wütend zu werden.

Golem.de: Was hätte die EFF besser machen können?

Barlow: Keine Ahnung - leider. Wir müssen ja weiter aktiv sein, aber es ist schwer. Wir müssen den Konsumenten noch deutlicher machen, dass sie bald keine privaten Kopien mehr anfertigen können, um ihnen so aufzuzeigen, wie weit sie eingeschränkt werden. Sobald sie merken, dass sie keine Kopie ihrer Dateien mehr anfertigen können, werden sie wissen, was passiert ist. Aber dann ist es vielleicht schon zu spät.

Golem.de: Wehren sich denn die Leute gegen derartige Einschränkungen, wenn sie wissen, was da passiert? Beispiel Windows XP: Trotz der auch in der Öffentlichkeit geführten Diskussion über die Spionage-Möglichkeiten des Betriebssystems nutzt diese Software beinahe jeder Heimanwender, der sich einen neuen PC kauft.

Barlow: Ja, das ist furchtbar. Ich könnte mir niemals vorstellen heutzutage noch Windows zu kaufen. Es scheint den Leuten egal zu sein, dass sie ausspioniert werden. Was viele nicht bedenken: Wenn ich Microsoft die Möglichkeit gebe, mich zu überwachen, gebe ich auch der Regierung die Möglichkeit dazu. In den USA wurden nach dem 11. September 2001 Gesetze erlassen, die es der Regierung ermöglichen, zu Microsoft zu gehen und bestimmte Informationen über PC-Anwender abzufragen. Terrorismus wird wahrscheinlich auch in Deutschland bald dazu führen, dass das, was uns als "copy protection" (Kopierschutz) verkauft wird, letztendlich als "government protection" (Regierungsschutz) genutzt wird. Ich hoffe, die Leute in Deutschland merken das, bevor die Systeme installiert sind. Ich denke, dass die Privatsphäre in Deutschland für die meisten Menschen auch weitaus wichtiger ist als in den USA. Aber zurück zu Windows: Schon vor Windows XP war Microsoft so schlimm, dass ich nicht verstehen konnte, wie Leute sich darauf einlassen und ihre Produkte kaufen. Windows ist die moderne Form der Ketten, mit denen die Arbeiter geknechtet werden. Ich verstehe auch nicht, wie Firmen Windows einsetzen können.

Golem.de: Inwieweit brauchen Konzerne wie Microsoft den DMCA, um TCPA(öffnet im neuen Fenster) und Palladium durchzusetzen?

Barlow: Er ist nicht unbedingt notwendig. Microsoft wird Palladium so oder so herausbringen und weiterentwickeln. Aber die Gesetze machen es natürlich leichter, Palladium zu einem Standard zu machen, der nur schwer angegriffen werden kann.

Golem.de: Bist du zuversichtlich, dass TCPA gestoppt werden kann - gerade in Anbetracht der Konzerne, die hinter der TCPA stecken?

Barlow: Ich bin absolut nicht zuversichtlich. Es ist ein harter Kampf. Auf lange Sicht gesehen werden wir zwar gewinnen, aber bis dahin kann viel Schaden angerichtet werden.

Golem.de: Was denkst du, wenn Microsoft behauptet, dass ein System wie Palladium gebraucht wird, um die Möglichkeit der Privatkopie zu sichern?

Barlow: Was soll ich da sagen? Das ist wie bei Orwell: Krieg ist Frieden, Liebe ist Hass. Das ist einfach nur lächerlich. Ich habe mir gerade den neuen Windows Media Player angesehen. Microsofts Vorstellung von "Fair Use" (gerechte Nutzung) lautet: Ich darf meine Musik oder Daten mit maximal zwei Freunden teilen. Aber das ist Blödsinn: Fair Use bedeutet, dass ich so viele Kopien anfertigen kann, wie ich will. Wenn ich dir etwas sage, kannst du das weitergeben, so dass die Idee um die ganze Welt geht. Es gibt keinen Kopierschutz für Gedanken. Die Vorstellung, dass ich dir etwas sage und du das dann nur an zwei Leute weitersagen darfst - auf so etwas kann nur Microsoft kommen.

Golem.de: Wissen Politiker, die über Gesetze wie den DMCA entscheiden, überhaupt, worüber da verhandelt wird?

Barlow: Nein, denn würden sie wissen, welche Konsequenzen diese Gesetze haben, würden sie das nie machen. Da sie aber keine Ahnung haben, glauben sie dem, was ihnen die Industrie sagt. Und die behauptet, dass Kopien die gesamte Ökonomie gefährden, Leute arbeitslos machen und der Download von Musik genau das Gleiche ist wie Ladendiebstahl. Also denken die Politiker: Okay, die Jugendlichen machen alle etwas, das genauso schlimm ist wie Ladendiebstahl, also müssen wir das unterbinden. Für mich bedeutet Diebstahl aber, dass man mir etwas wegnimmt und ich es hinterher nicht mehr habe. Wenn der Song nach dem Download von mir aber immer noch heruntergeladen werden kann, wird das kaum Diebstahl sein.

Golem.de: Wenn dem so ist, wieso gibt es dann so viele Musiker, die sich gegen Downloads wehren?

Barlow: Die meisten Musiker haben keine Ahnung von dem, was vor sich geht. Sie bekommen weniger Geld von ihrer Plattenfirma und die Plattenfirma sagt ihnen: Ihr bekommt deswegen weniger Geld, weil die Leute eure Songs herunterladen. In Wirklichkeit werden sie aber von der Industrie und nicht von den Jugendlichen über den Tisch gezogen. Die meisten Musiker wollen doch vor allem eines: gehört werden. Und das geht über das Internet doch einfach viel besser als auf allen anderen Wegen. Grateful Dead sind doch das beste Beispiel: Wir haben eher zufällig gemerkt, dass wir viel bekannter werden können, wenn wir den Leuten erlauben, unsere Musik zu kopieren.

Golem.de: Bei euch hat das funktioniert, aber denkst Du, dass das bei allen Bands klappt?

Barlow: Ja, es funktioniert bei allen, die es je ausprobiert haben. Es hat sogar bei Metallica funktioniert - die sind deswegen bekannt geworden, weil Leute ihre Konzerte mitgeschnitten und dann untereinander weiterkopiert haben. Ich werde nie verstehen, warum ausgerechnet Metallica dann vor Gericht gezogen ist, um Personen zu verklagen, die ihre Musik herunterladen.

Golem.de: Aber gibt es mittlerweile nicht zu viele Bands und Musiker, als dass jeder auf diesem Weg bekannt werden und sein Geld dann vor allem auf Tour verdienen könnte?

Barlow: Doch, wahrscheinlich schon, aber dann wird da halt ein Auswahlprozess stattfinden. Das ist sicherlich nicht besonders schön, aber es war schon immer so, dass nicht alle Leute, die gerne Profi-Musiker sein würden, dies auch realisieren können.

Golem.de: Gäbe es, wenn sich das so durchsetzen würde, überhaupt noch eine Existenzberechtigung für die Musikindustrie?

Barlow: Ja, wahrscheinlich schon. Das Problem der Musikindustrie ist doch heute, dass sie viel zu aufgebläht ist. Man hat nach der Einführung der CD so viel Geld verdient, dass man gar nicht wusste, wohin damit, denn die Produktion der CDs wurde immer billiger, die Verkaufspreise sind aber trotzdem nicht gesunken. Also wurden immer mehr Leute eingestellt, und jetzt sind die Musikkonzerne zu unbeweglichen, riesigen Giganten geworden - kein Wunder, dass sie jetzt Probleme haben. Die Konzerne werden aber auch zukünftig wichtig sein, zum Beispiel wenn es um die Talentsuche geht oder darum, Musik auf physischen Trägern zu verkaufen - es wird schließlich immer Leute geben, die lieber eine CD kaufen als sich die Musik herunterzuladen. Aber die Musiker werden sich dann nicht mehr - wie es heute der Fall ist - für zehn Platten fest an eine Firma binden, sondern stattdessen einen Vertrag mit der Industrie abschließen, in dem steht, dass die Industrie nur dafür zuständig ist, die Platte in den Laden zu bringen.

Golem.de: Hast du - oder die EFF - eigentlich jemals Probleme bekommen von Seiten der Industrie? Gab es jemals Versuche, euch "ruhig zu stellen"?

Barlow: Ich hab 1993 angefangen, mich ein bisschen ausführlicher mit der Materie zu beschäftigen, und ich glaube zu dem Zeitpunkt war ich der einzige Mensch auf der Welt, der darauf hinwies, dass freie Meinungsäußerung in engem Zusammenhang mit Kopierschutzbemühungen stehen könnte. Damals war das aber meine ganz persönliche Meinung und ich wollte gar nicht, dass der EFF da reingezogen wird. Microsoft-Chef Bill Gates hat dann etwas von mir gelesen und daraufhin seine Mitarbeiter wissen lassen: "Wenn irgendjemand von Euch der EFF in irgendeiner Form Informationen gibt oder ihr hilft, wird er seinen Job verlieren" . Und das, obwohl die EFF ja damals noch gar nichts damit zu tun hatte - es war ja nur meine Meinung.

Später hat die EFF dann meine Position übernommen, und von da an haben wir jegliche Unterstützung seitens der Medien und der Industrie verloren. Es hat aber noch niemand versucht, uns komplett ruhig zu stellen oder ins Gefängnis zu stecken - so schlimm ist es nicht. Noch nicht zumindest.

Golem.de: In einem Interview hast du mal gesagt: "Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, ob das Internet eine offene Umgebung für den freien Meinungsaustausch bleibt."

Barlow: Ja. Die menschliche Spezies hat die Fähigkeit zu kommunizieren und zu denken. Und diese Kapazität ist immer weiter ausgebaut worden. Wenn wir jetzt das Internet beschränken, wäre das genauso wie den Regenwald abzuholzen, bevor er überhaupt angefangen hat zu wachsen. Wir befinden uns an einem Wendepunkt, an dem wir eine Entscheidung treffen, wie es in Zukunft mit unserer Zivilisation weitergeht.


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