Spieletest: Black & White - Ein göttliches Vergnügen

Allerdings ist das zu Beginn noch keine sehr spektakuläre Angelegenheit, schließlich ist der Einflussbereich am Anfang auf einen sehr kleinen Ausschnitt der Welt beschränkt, außerhalb der eigenen Machtgrenzen versagt die göttliche Kraft. Ein Ausbau des Gebietes hat also oberste Priorität, und an diesem Punkt dürfte sich für den einen oder anderen die erste Enttäuschung einstellen.
Wie man die Herzen der kleinen Kreaturen gewinnt, ist dabei frei nach Ermessen des Spielers lösbar: Wer sich als guter Gott gibt und die Erdenmenschen mit schönem Wetter und fürsorglicher Behandlung verwöhnt, kann ebenso ans Ziel seiner Träume gelangen wie der, der durch Gewaltherrschaft und Tyrannei Angst und Schrecken über die arglosen Einwohner bringt.
Natürlich gibt es noch unzählige Abstufungen zwischen absolut böse und schleimig-lieb; kleinere Quests und Aufgaben sorgen dafür, dass der Spieler früher oder später seine wahre Identität preisgeben muss. Gleich zu Beginn wartet eine Aufgabe, die sich wie auch der Rest des Spieles auf vielfältige Art und Weise lösen lässt: Eine Bewohnerin fleht zu Gott, dass er ihren Bruder, der krank im Wald liegt, erretten möge. Als Gegenleistung verspricht sie ein Geschenk aus ihrer Hütte, das zum Fortkommen im Spiel dringend benötigt wird.
Molyneux selbst offenbarte kürzlich in einer Präsentation drei der hier möglichen Handlungsschritte: Ein guter Mensch würde an dieser Stelle zweifellos zur Rettung des Familienmitgliedes eilen, ein gleichgültiger hingegen die Schultern zucken und mit einem kleinen Wink der "göttlichen Hand", die als Spielsymbol fungiert, die Hütte der Dame einreißen und sich des Geschenkes selber ermächtigen. Die absolut böseste Methode wäre natürlich, der Dame das Leben zu nehmen und den Leichnam dem kranken Bruder vorzusetzen, so dass dieser vor Schreck ebenso das Zeitliche segnet. Wie ausgefallen die Pläne des Spielers auch sein mögen, Black & White scheint auf jeden Spielertyp vorbereitet zu sein.
Hat man die Anfangs-Mission erfüllt, wartet die erste wirklich wichtige Entscheidung, denn zu jedem Gott gehört eine Kreatur, die es dem Spieler ermöglicht, auch außerhalb der eigenen Machtgrenzen neue Gläubige zu rekrutieren. Zu Beginn darf man aus drei verschiedenen Tierchen sein Lieblingsexemplar wählen, zur Auswahl stehen dabei ein Affe, ein Tiger und eine Kuh. Glaubt man Molyneux, verrät der Spieler schon hier viel über seinen Charakter, denn während friedliche Zeitgenossen Kühe bevorzugen, greifen wilde und harte Zocker eher zum Tiger. Der Affe repräsentiert angeblich eine ausgewogene Mischung aus beidem.
Da Lionhead dem Spiel auch eine durchaus nette Hintergrundgeschichte spendiert hat, wird man trotz des prinzipiell nicht linearen Spielverlaufs durch in der Gegend auftauchende Schriftrollen, die wichtige Informationen enthalten, oder bestimmte Ereignisse immer wieder auf einen Handlungspfad geführt. Ergänzt wird dieser durch eine Reihe oft nicht gerade einfallsreicher Subquests, wie etwa recht belanglose Einsammelspielchen.
All das spielt sich allerdings weitaus langwieriger, als es auf den ersten Blick klingen mag; bis die eigene Kreatur etwa vom kleinen Nesthäkchen zum ausgewachsenen Gottestier aufgestiegen ist, vergehen unzählige Stunden Spielzeit, die sich allerdings durch eine zuschaltbare Zeitbeschleunigung deutlich verkürzen lassen. Und die Folgen eines derartigen Wachstums sind auch nicht ohne: Ist etwa der Affe nämlich erstmal zu einem Godzilla-gleichen Hünen herangewachsen, sollte man schleunigst gewaltige Nahrungsmengen herankarren oder schon mal provisorisch ein paar Ohrfeigen verteilen, damit der einst kleine und niedliche Kumpane nicht auf schlechte Gedanken kommt und der Bevölkerung ihre Vorräte wegfuttert.
In punkto Grafik wusste man von früheren Präsentationen ja bereits, dass Lionhead einen optischen Augenschmaus präsentieren würde, und wirklich sieht Black & White deutlich besser aus als alles andere, was bisher im Strategiespiel-Bereich erhältlich ist. Die Landschaften sind sehr farbenfroh und detailliert ausgefallen, allerdings lässt dieser Detailreichtum beim Rauszoomen sehr schnell nach. Das wirkliche Highlight sind aber zweifelsohne die Animationen und die Mimik der Kreaturen: Die ersten Spielstunden werden viele wohl damit verbringen, sich die Reaktionen von Affe, Kuh und Tiger anzusehen, wenn sie nach einem Klaps auf die Wange verwundert schauen, nach einer Portion Streicheleinheiten beglückt grinsen oder sich, unklar ob der Absicht des Spielers, verwundert am Kopf kratzen.
Und noch in einem anderen Punkt haben die Entwickler Großes geleistet: In keinem anderen Spiel zuvor hatte man so viel Einfluss auf die vor einem ausgebreitete virtuelle Welt. Jeder Stein, jeder Baum und jeder beliebige Gegenstand, der auf dem Bildschirm zu sehen ist, lässt sich aufheben, umsetzen und verwenden, das Schicksal und die Ausgestaltung der Welt liegt ganz in der Hand des Spielers. Übrigens ändert sich je nach Verhalten des Spielers auch die optische Ausgestaltung - in einer Tyrannei werden die einst grünen Bäume schon bald bedrohlich-grau schimmern, die Sonne sich verdunkeln und die fröhliche Hintergrundmusik einer schaurigen Endzeit-Melodie weichen, frei nach dem Motto: Zeige mir Deinen Spielstand, und ich sage Dir was für ein Mensch Du bist!
Fazit:
Keine Frage, Black & White ist ein herausragendes Spiel geworden, das vor lauter neuen Ideen, brillanten Grafiken und motivierendem Gameplay nur so strotzt. Aber nichtsdestotrotz revolutioniert der Titel nicht die Spielwelt, denn so bahnbrechend neu ist das aufgemöbelte und durch die Kreatur genial bereicherte Aufbau-Strategie-Konzept nicht, dass man hier von einer wegweisenden Entwicklung reden müsste. Unter dem Strich bleibt es aber eines der mit Abstand besten Spiele der letzten Zeit - und das ist schließlich auch schon eine ganze Menge wert.



